Projekt 
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2007 wurde ich von Olaf Müller (www.philosophie.hu-berlin.de/institut/lehrstuehle/natur/mitarbeiter/mueller) zu einem Vortrag an die Humboldt-Universität eingeladen, um meine Einschätzungen zu Goethes Farbenlehre hinsichtlich prismatischer Phänomene darzulegen. Seit 1995 beschäftigten mich Phänomene, die bis zur Veröffentlichung meines » Buches 2008 unbekannt geblieben waren und die ich in Anwendung von Goethes Methode unter anderem auf Newtons Versuche entdeckt hatte.1  Auch wenn ich hinsichtlich der Erklärung dieser Phänomene zu Newtons Ansatz neige, so wurde mir aus meinen Studien zur Farbenlehre doch ziemlich klar, dass Goethes experimentelle Methode einige fruchtbare Ansätze enthält, die einer genaueren Betrachtung zugeführt werden müssten.

Zuvor hatten Olaf Müller und ich einen anregenden Emailaustausch über eine Reihe von Experimenten und Thesen, unter anderem auch über seine Prognose, nicht nur Newtons allbekannte Weißsynthese, sondern auch eine dazu komplementäre „goethesche“ Schwarzsynthese experimentell herbeiführen zu können.2   In einem meiner Briefe hatte ich Olaf Müller davon berichtet, dass mir ein solches Experiment bereits gelungen ist. Das weckte das Interesse des Wissenschaftsphilosophen.



Abb. 1 Die Schwarzsynthese (rechts im Bild). Werden die Farben eines umgekehrtes Spektrums oder Goethespektrums gebündelt und zu einem scharfen Bild zusammengezogen (wie hier etwa im Blick durch ein Prisma), so zeigt sich ein schmaler lichtloser schwarzer  Schattenstab. Dies demonstriert, wie sich aus den Farben des Goethespektrums ein
Schwarz synthetisieren lässt, analog zur Weißsynthese (siehe Abb. 2).




Abb. 2  Die Weißsynthese (rechts im Bild). Werden die Farben des Newtonspektrums gebündelt und zu einem scharfen
Bild zusammengezogen (wie etwa hier im Blick durch ein Prisma), so ergeben sie weißes Licht oder das Bild eines weißen Lichtstabes.


Beim näheren Kennenlernen erzählte ich Olaf Müller von meiner Idee, ein riesiges Sonnenspektrum in der Gestalt eines Lichtgemäldes zu realisieren und breitete ihm einige Vorstellungen dazu aus. Vermutlich war dieses Gespräch Anlass zu Müllers späterem Vorschlag, an der Humboldt-Universität zum 200jährigen Jubiläum der Universität etwas Vergleichbares temporär zu installieren. In meinem ersten Exposé entwickelte ich das Konzept zu einem polar gestuften Sonnenspektrum, das ich im Foyer des Universitätsgebäudes auf einem großen transparenten Auffangschirm realisieren wollte.

In diesem Exposé bezog ich mich unter anderem auf eine Versuchsreihe von Goethe, bei der sich mittels einer breitenvariierten Spalt- und Stegvorrichtung (Abb. 3) ein in verschiedenen Stufen komplementäres Spektrum bildet (Abb. 4).



Abb. 3 Spalt (links) und Steg (rechts) breitenvariiert, © Ingo Nussbaumer


In ihm findet man eine signifikante Reihe von unterschiedlichen spektralen Erscheinungen3 , vom sogenannten Kantenspektrum (jeweils ganz außen) über das Vollspektrum bis zum Endspektrum4 (ganz innen, Abb. 4).



Abb. 4 komplementäres Stufenspektrum © Ingo Nussbaumer, Foto Michael Goldgruber


Eine solche charakteristische Stufenfolge wollte ich als Sonnenspektrum realisieren und nannte es aufgrund seiner polar strukturierten Ausgangsform das polar gestufte Sonnenspektrum.

Wesentlicher Gedanke der künstlerischen Realisierung bestand aber darin, die wetter- und tagesbedingten Erscheinungen des Lichtes, das Auf und Ab der stimmungsvollen Lichtbewegungen in einer Intervention des Gebäudes, einem Black/White Cube sich spiegeln zu lassen oder einzufangen. Dieser sollte im Foyer des Universitätsgebäudes installiert und deutlich als Raumintervention erkennbar und erlebbar werden. Er sollte die Besucher von dem üblichen Treiben im Foyer des Universitätsgebäudes physisch wie geistig abziehen, ihnen einen Raum der Kunst öffnen. „Das in den Raum spiegeln“ sollte eben durch einen großen, in die Intervention integrierten transparenten Schirm ermöglicht werden, auf den das Spektrum von außen flächendeckend geworfen wird, um dann in der Box als stimmungsvolles, nach den Tagesbedingungen entsprechend sich veränderndes Lichtgemälde wahrgenommen zu werden. Diese erste Projektidee war jedoch laut Einschätzung von Johannes Grebe Ellis so aufwendig, dass sie jeden finanziellen Rahmen gesprengt hätte. Sie bleibt als Projektidee weiter bestehen und harrt auf eine erneute Möglichkeit.

In der Folge schlug ich Olaf Müller ein zweites Projekt vor, das sich in einem realistischeren finanziellen Rahmen bewegte. Da das Projekt unter anderem auch im Kontext des 200jährigen Jubiläums von Goethes Farbenlehre stand, stellte ich im Exposé zum Projekt auch einen Bezug zwischen Goethes methodischem Ansatz und der zeitgenössischen Kunst her. So leitete ich mein Exposé mit folgenden Worten ein:

Ein Bestreben zeitgenössischer Kunst besteht unter anderem darin, die Elemente eines Bildes in eine nachvollziehbare Lesbarkeit zu betten, um damit Bildbegrifflichkeit zu gewinnen. Als Beispiel kann hier etwa Sol LeWitts Serial Project # 1 ABCD angesehen werden, in dem sich aus einer  ineinandergreifenden polaren Struktur von „open / closed“ und „inside / outside“ ein lesbares und bildbegrifflich erfassbares Objekt formt und entfaltet, das in einigen Punkten verblüffend an die goethesche Konzeption des Urphänomens erinnert, obgleich es in einem ganz anderen Zusammenhang steht.

Dieser verblüffende Konnex etwa von Sol LeWitts serieller Arbeit und Goethes Begriff eines Urphänomens, ergibt sich allerdings erst, wenn Goethes Begriff in eine zeitgenössische Sprache übersetzt und der diversifizierende historische wie wissenschaftliche Kontext berücksichtigt wird. Goethes experimentelle Methode ist auf Serialität hin konzipiert und auf eine serielle Ordnung hin ausgelegt; dies gilt sowohl für seinen Ansatz zur systematischen Vermannigfaltigung von Versuchen: „das Nächste ans Nächste zu reihen5 [die er als oberste Pflicht jedes Naturforschers ansah] als auch für das Bestreben, aus vielen Versuchen einen, wesentliche Schritte zusammenfassenden Versuch zu schaffen, welche beide methodischen Ansätze man als das Prinzip der experimentellen Variation und der experimentellen Explikation bezeichnen kann. [Ein Beispiel für die experimentelle Explikation wäre das polar gestufte Sonnenspektrum Abb. 4.] Im Begriff der Serialität lässt sich Goethes Urphänomen als ein System6 deuten, das sich aus bestimmten elementaren Ausgangsbedingungen, aus einfachen Kontrastbedingungen (von Licht und Schatten) generiert. Sie verdeutlichen eine polare Ausgangsstruktur, aus der sich durch sukzessiv modifizierende experimentelle Schritte ein System von farbigen Erscheinungen erzeugen lässt. Das System bei Goethe bildet einen phänomenologischen Zusammenhang oder – wie ich auch oft betone – einen phänomenologischen Ordnungszusammenhang, der von einem Erklärungszusammenhang, wie ihn etwa Newtons Versuche enthalten oder naturwissenschaftliche Experimente häufig enthalten, doch deutlich zu unterscheiden ist.7



Abb. 5 serielle Struktur von Sol LeWitts Serial Projekt # . Siehe unter: www.ubu.com/aspen/aspen5and6/serialProject.html

Auch Sol LeWitts Serial Projekt # 1 ABCD enthält einen Ordnungszusammenhang, der sich aus der abwechselnden Anwendung von „open/closed“ – „inside/outside“ an Quadrat und Kubus ergibt (siehe Abb. 5).8 Die Bestandteile des Objekts von Sol LeWitt bilden klarerweise aber keinen Bezug zu irgendwelchen physikalischen Phänomenen und stellen auch keine Experimente vor. Darin unterscheidet sich Goethes Urphänomen natürlich von Sol LeWitts Projekt. Sie stimmen aber darin überein, dass beide ein systematisch generiertes Bild (bzw. Objekt) präsentieren.

In diesen Einleitungsrahmen bettete ich im Exposé von 2009 mein serielles Farbprojekt, das ich Working Shade . Formed Light nannte. Auch mir war es dabei wichtig, dass sich eine lesbare und nachvollziehbare Bildbegrifflichkeit in und aus den einzelnen Objekten bzw. Teilstrukturen erzeugt. Der Titel sollte außerdem zu verstehen geben, dass der Schatten als ein Licht gestaltendes Element eingesetzt wird, spektrales Licht durch Schatten fragmentiert und schließlich im ganzen Zusammenhang der Objekte seiner Erscheinungsform nach umgebildet wird. Die Licht / Schattenpolarität übernimmt aber dabei keinen Part in einem Erklärungszusammenhang, sondern übt lediglich eine Ordnungsfunktion im Projektgefüge aus. Treten Licht und Schatten gemeinsam und kontrastierend in Erscheinung, so verdeutlichen sie ein Bild. Die Anordnung entscheidet über die Art des Bildes, zum Beispiel, ob wir es als positives oder negatives Bild identifizieren. Schatten und Licht kommen dann invers strukturiert zum Einsatz, so dass sich beispielsweise folgende Situation ergibt: Licht innen, Schatten außen – Schatten innen, Licht außen (wie in Abb. 3).
Näheres zum Aufbau des Projektes findet sich unter der Rubrik » Struktur

Das Exposé wurde 2009 von der »Schering Stiftung angenommen und die Förderzusage an die Humboldt-Universität weitergeleitet. Damit hatte ich nun die Möglichkeit, meine Idee in die Tat umzusetzen. Was noch ausstand, war eine geeignete Räumlichkeit.

Ursprünglich war dafür ein Raum im neuen Bibliotheksgebäude der Humboldt-Universität vorgesehen. Wie sich aber Ende 2009 nach einer Besichtigung herausstellte, war dieser Raum zu klein und unpassend, um das serielle Projekt angemessen realisieren zu können. Ich musste mich in Berlin auf die Suche begeben und entdeckte ein leer stehendes Gebäude, die Mensa Nord, welches einen gewissen Charme bot und eine vom Universitätsgebäude (Unter den Linden 6) noch immer gut erreichbare Lage besaß. Außerdem lag es nicht weit ab vom Bunker Berlin, der Sammlung Boros (www.sammlung-
boros.de
). Ich schlug einige Räume dieses Gebäudes für mein Projekt vor und bat Olaf Müller, ihre Verfügbarkeit zu prüfen. Wie sich herausstellte, sollte dieses Gebäude noch während der Laufzeit des Projektes im September/Oktober 2010 abgerissen werden.

Olaf Müller bat darauf eine Mitarbeiterin am Institut für Philosophie sich auf die Suche nach einer geeigneten Räumlichkeit zu begeben. Sarah Metzler hat mich mit ihrem Engagement begeistert. Sobald sie eine Räumlichkeit gefunden hatte, informierte sie mich und Hubert Schmidleitner, den ich als Assistent für mein Projekt gewinnen konnte und der von Anfang an in der Projektierung berücksichtigt war. Da Hubert Schmidleitner mich gut kennt und meine Ansprüche aus eigenem Kunstverständnis gut einzuschätzen weiß, konnte ich mögliche Räumlichkeiten von ihm prüfen lassen, um dann telefonisch weitere Details zu erfahren. Nach ca. 2 Monaten wurde Sarah Metzler fündig. Jetzt konnte an die nähere Ausarbeitung des Projekts gegangen werden.

Hubert Schmidleitner fertigte eine Skizze der Räume an, schickte mir Fotos nach Wien und schilderte mir detailliert die räumlichen Vorgegebenheiten. Ein genauer Plan der Universität half schließlich noch die Ausrichtung der Räume zu präzisieren. Auf dieser Grundlage startete ich die ersten Überlegungen zur Umsetzung des Projektes. Im Projektexposé war ich von nur einem Raum (von ca. 120 m2) ausgegangen. Nun standen aber mehrere Räume zur Verfügung, die es möglich machten, das Konzept sogar zu erweitern. Im April 2010 fuhr ich nach Berlin, um mir die Räumlichkeiten der ehemaligen Bauernmensa, die in der Nähe des Naturkundemuseums lagen, näher anzusehen. Ich stellte fest, dass die Räume sogar nach hinten eine Erweiterung boten und versuchte abzuklären, ob diese Zusatzräume noch zur Verfügung standen. Die Größe der Räumlichkeiten übertraf meine Erwartungen. Es war bereits geplant, dass auch Hubert Schmidleitner eine Intervention in die Ausstellung einbringt. Nun war es aber noch möglich, im hinteren Gang und in den hinteren Räumen weitere Objekte zu installieren. Zunächst sollte jedoch geklärt werden, wie die vorderen Räume zu bespielen sind. Welchen Platz ich für mein serielles Projekt benötigte, war bald ausgemacht. Dafür kamen nur die beiden großen Räume infrage. Zusätzlich aber boten der fast 30 Meter lange vordere Gang und das Foyer eine Gelegenheit, neue Ideen einzubringen. Außerdem mussten die Räumlichkeiten etwas auf Vordermann gebracht werden. Die alte Bauernmensa – die, wie wir hörten, auch den Spitznamen Schweinemensa hatte – war seit 2 Jahren nicht mehr in Betrieb gewesen. Die Gerätschaften waren herausgerissen und hinterließen Spuren; und auch sonst waren die Räumlichkeiten in keinem besonderen Zustand. Da musste zunächst klar werden, wie wir den Räumen ein bestimmtes Gesicht verpassen konnten. Ein gewisser Ostcharme lag über den Räumen der ehemaligen Bauernmensa. Er sollte nicht unbedingt verschwinden. Einige markante Veränderungen durch Farbe und einfache Strukturen an der Wand, sollten das Gesicht des Räume aber neu entfalten. Vorort besprach ich mit Hubert Schmidleitner die Veränderungen, die Positionierungen der Objekte und unseren Zeitplan. Schließlich entwickelte sich in Zusammenarbeit mit Hubert Schmidleitner folgendes Ausstellungskonzept (siehe Abb. 6), in dem auch Hubert Schmidleitner vier Objekte realisieren konnte. Aus 120 m2 wie im ursprünglichen Projektexposé waren nun ca. 400 m2 Ausstellungsfläche geworden. Das brachte natürlich einen erhöhten Arbeitseinsatz bis zur letzten Sekunde mit sich, der sich aber lohnen sollte.



Abb. 6 Aufbauskizze der Ausstellung


Dank für die Realisierung der Ausstellung gebührt auch Annette Prüfer, die uns tatkräftig zur Seite stand, sowie beim technischen Personal der Universität. Dem Wachschutz schulden wir ebenfalls unseren Dank, der alle ungewöhnlichen Zeiten und Wünsche erduldet hat und dem Ausstellungsprojekt aufs Freundlichste gesonnen war. Dank möchte ich an dieser Stelle auch der Universitätsverwaltung aussprechen.
                                                                                                                                                  Ingo Nussbaumer, Wien im Dezember 2010

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1 Vgl. dazu: Ingo Nussbaumer, Zur Farbenlehre. Entdeckung der unordentlichen Spektren. Edition Splitter Wien 2008

2 „Genau wie Newton (bei der sog. Weiß-Synthese) die prismatisch aufgefächerten Spektralfarben wieder ins Weiße zusammenführen kann, müßte sich – so vermutete ich – auch Finsternis synthetisch herstellen lassen, durch Zusammenführung der Farben aus Goethes Komplementärspektrum.“ Müller, Olaf: Die Neuvermessung der Farbwelt durch Ingo Nussbaumer: Eine kleine Sensation. In: Ingo Nussbaumer, Zur Farbenlehre. Entdeckung der unordentlichen Spektren. Edition Splitter Wien 2008, Seite 16. Siehe außerdem: Müller, Olaf: Goethes philosophisches Unbehagen beim Blick durchs Prisma. In Glasauer, Stefan / Steinbrenner, Jakob (eds): Farben. Frankfurt / Main: Suhrkamp, 2007.

3 Auch wenn in der einschlägigen Literatur das Stufenspektrum bekannt ist und dieses keine Erfindung von mir darstellt, so möchte ich hier doch betonen, dass die unterschiedlichen farbigen Erscheinungen, wie sie von Stufe zu Stufe und im komplementären Gegeneinander in verschiedenen Nuancen und Sättigungsgraden auftreten, bislang noch nicht ausreichend charakterisierend beschrieben wurden. Eine Typisierung dieser Unterschiede findet man jedoch in meinem Buch zur Farbenlehre auf Seite 206 ff (Die Bildungsstufen der Spektren). Besonders deutlich kämen diese Farbdifferenzen in einem großen  Sonnenspektrum zum Vorschein. Das alleine wäre schon ein ausreichender Grund ein solches zu realisieren.

4 Der Ausdruck „Endspektrum“ – den ich hier gerne adaptieren möchte – wurde von Olaf Müller vorgeschlagen.

5 Siehe dazu Johann Wolfgang von Goethe: Der Versuch als Vermittler zwischen Objekt und Subjekt.         [http://de.wikisource.org/wiki/Der_Versuch_als_Vermittler_von_Objekt_und_Subjekt] „Diese Bedächtlichkeit, nur das Nächste ans Nächste zu reihen oder vielmehr das Nächste aus dem Nächsten zu folgern, haben wir von den Mathematikern zu lernen, und selbst da, wo wir uns keiner Rechnung bedienen, müssen wir immer so zu Werke gehen, als wenn wir dem strengsten Geometer Rechenschaft zu geben schuldig wären.“ (siehe ebenda)

6 Goethes Begriff eines Urphänomens ist mehrschichtig. Er lässt sich – in Hinblick auf prismatische Phänomene –  als Grundphänomen an den Kanten deuten, das nach Goethe aus einer reduktiven Analyse komplexer Erscheinungen hervorgeht als auch als Gesamtphänomen, das eine signifikante Reihe von Versuchen in einem Versuch demonstriert. Im letzten Fall bildet es ein operatives System aus bestimmten Regeln.

7 Im Wesentlichen sehe ich viele Missverständnisse in der Netwon/Goethedebatte darin begründet, dass eine Verwechslung zwischen Ordnungs-, Entstehungs- und Erklärungszusammenhängen stattfindet. Goethes experimentelle Methode ist auf die Erfassung  von Ordnungen hin ausgerichtet. Dabei unterscheiden sich Goethes Grundphänomene ganz deutlich von Newtons Elementarphänomenen: Goethe sieht die einfachen Phänomene (die er in den Kantenspektren erblickt) aus ihren Entstehungsbedingungen (der sogenannten Kontrastbedingung: Licht/Schattengrenze) heraus begründet, Newton dagegen in bestimmten Merkmalen oder Eigenschaften der Phänomene selbst, etwa „nicht weiter aufgefächert werden zu können“ (Eigenschaft der Unzerlegbarkeit = allgemeines Identifikationsmerkmal) und „verschieden stark vom geraden Weg abgelenkt werden zu können“ (Eigenschaft der unterschiedlichen Brechbarkeit oder diverse Refrangibilität = charakterisierendes Unterscheidungsmerkmal). Goethe bindet das Merkmal der Einfachheit bzw. ihre Eigenschaft „elementar zu sein“ an die Einfachheit ihrer Entstehungsbedingungen (Grundkontrast/Kontrastgrenze), begreift sie also primär aus ihrem Entstehungszusammenhang oder Bildungsvorgang, Newton dagegen an das konstante Verhalten ihrer unterschiedlichen Brechbarkeit in einer physikalisch unwirksamen Größe, der Finsternis (sozusagen einer idealen Bedingung für Experimente mit Licht), in der sie sich am deutlichsten bzw. unbeeinflusst und ungestört zum Ausdruck bringen.

8 Nähere Beschreibungen zu Sol LeWitt’s Serial Projekt siehe unter der oben angegeben Internetadresse: http://www.ubu.com/aspen/aspen5and6/serialProject.html. In Deutsch siehe: Minimal Art. Eine kritische Retrospektive. Herausgegeben von Gregor Stemmrich. Verlag der Kunst Dresden . Basel 1995, Seite 181 ff
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